Das Yogasutra des Patañjali und die Traumatherapie

Frau, Herz, Das Yogasutra des Patañjali und die Traumatherapie Annette Bauer Coaching Xperience
Was ich im Yogasutra des Patañjali für die Traumatherapie gefunden habe, möchte ich dir nicht vorenthalten. Es ist großartig!

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Wie bringe ich diese zwei Themen zusammen?

Das war die Frage, die ich mir gestellt habe, seitdem ich neben meiner Heilpraktikertätigkeit auch Yoga unterrichte.

Alles kommt für mich in der Traumatherapie zusammen. Das eine schließt das andere nicht aus, im Gegenteil: Sie ergänzen sich. Heute schaue ich dazu auf das Yogasutra des Patañjali. In 196 knappen Sätzen oder Sutras (so wie Aphorismen) legt er ein umfassendes System zur Schulung des Körpers und des Geistes dar.  Diese kurzen “Merksätze” waren früher nur dem eingeweihten Yogin zugänglich oder verständlich. Heute gibt es dazu viele Deutungen in Buchform. Doch letztendlich muss man deren Bedeutung selbst durchdringen, um sie zu verstehen. Man kommt um das Üben eben nicht drumherum!

Das Yogasutra

Verfasst vom indischen Weisen Patañjali vor etwa 2000 Jahren gilt das Yogasutra als einer der wichtigsten und grundlegendsten Texte der Yogaphilosophie. Obwohl seine genaue Lebenszeit unbekannt ist, wird Patañjali zwischen 200 v. Chr. und 200 n. Chr. eingeordnet. Das Yogasutra fasst ältere yogische Traditionen zusammen und systematisiert sie, wobei der Fokus auf der Beruhigung des Geistes und der Erlangung inneren Friedens liegt. Yoga und Buddhismus sollen sich gegenseitig beeinflusst haben.

Den Bogen zu heute spannen

Trauma hingegen ist ein Thema, das in der modernen Psychologie und Medizin seit den 1990er Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnt. Es bezieht sich auf tiefgreifende psychische Verletzungen, die durch extrem belastende Erlebnisse verursacht werden.

Solche gab es allerdings auch im alten Indien und für mich stellt sich die Frage, wie das heute mit Patañjali einzuordnen ist. Eine traumatische Situation überfordern den Menschen, und “normale” Bewältigungsmechanismen reichen da oft nicht aus. Das kann langanhaltende Auswirkungen auf die psychische und physische (Embodiment) Gesundheit haben. Typische Symptome umfassen Flashbacks, Alpträume, Angstzustände, emotionale Taubheit und Vermeidungsverhalten. Kennst du davon etwas?

Die Traumatherapie wiederum ist ein spezialisierter Bereich der Psychotherapie, der sich mit der Behandlung und Heilung von Traumata befasst. Sie umfasst verschiedene Ansätze und Techniken, die darauf abzielen, die Auswirkungen traumatischer Erfahrungen einzuordnen und helfen, sie in ihr Leben zu integrieren. Etablierte Methoden wie EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), kognitive Verhaltenstherapie und körperorientierte Therapien werden dabei häufig eingesetzt. Deshalb kann ich diese Verfahren auch so gut einordnen.

In den letzten Jahren hat nicht nur bei mir das Interesse an ganzheitlichen und alternativen Ansätzen zugenommen, sondern ebenfalls in der Traumatherapie. Hier kommt die jahrtausendealte Weisheit des Yoga ins Spiel. Wie im Yogasutra dargelegt, kann man die Prinzipien und Praktiken zur Unterstützung einsetzen. Sie setzten ebenfalls bei körperlichen uns geistigen Aspekten an. Schauen wir uns das mal an:

Grundprinzipien des Yoga nach Patañjali

Das Yogasutra präsentiert ein System zur Entwicklung von Körper, Geist und Seele. Man nennte es Ashtanga Yoga oder den achtgliedrigen Pfad des Yoga. (Nicht zu verwechseln mit dem Yogastil, der sich ebenfalls dieses Namens bedient.) Die acht Glieder bilden das Fundament der yogischen Praxis.

Patañjali beschreibt diesen Pfad in Sutra 2.29:
“yama niyamāsana prāṇāyāma pratyāhāra dhāraṇā dhyāna samādhayo ‘ṣṭāv aṅgāni”
(Die acht Glieder des Yoga sind: Yama, Niyama, Asana, Pranayama, Pratyahara, Dharana, Dhyana und Samadhi)

Nun kannst du so damit noch nichts anfangen. Deshalb werde ich sie mal erläutern:

Der achtgliedrige Pfad

Der achtgliedrige Pfad des Yoga beginnt mit den äußeren Praktiken und bewegt sich hin zu den inneren. Der Körper steht also anders als gedacht nicht als erstes im Fokus.

Die ersten beiden Glieder, Yama und Niyama, bilden das ethische Fundament. Yama umfasst fünf universelle ethische Regeln: Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Nicht-Stehlen, Mäßigung und Nicht-Besitzgier. Diese Prinzipien leiten das Verhalten gegenüber anderen und der Umwelt. Niyama hingegen bezieht sich auf die persönliche Disziplin und beinhaltet Reinheit, Zufriedenheit, Askese, Selbststudium und Hingabe. Diese Praktiken fördern innere Entwicklung und Selbstreflexion.

Die nächsten beiden Glieder, Asana und Pranayama, fokussieren sich auf den Körper und den Atem. Asana, oft als Yogastellungen bekannt, sind physische Übungen zur Stärkung und Flexibilisierung des Körpers. Sie bereiten den Körper auf tiefere Meditationspraktiken vor und fördern Gesundheit und Vitalität. Pranayama, die Kunst der Atemkontrolle, umfasst Techniken zur Regulierung der Lebensenergie durch bewusste Atmung. Der Atem ist der Dreh und Angelpunkt auf dem Weg zu innerer Erkenntnis, von außen nach innen, und bereitet dich auf die subtileren Aspekte vor.

Die letzten vier Glieder konzentrieren sich auf die innere Entwicklung und Bewusstseinsschulung. Pratyahara bezeichnet das Zurückziehen der Sinne von äußeren Reizen, was den Geist für die innere Arbeit vorbereitet. Dharana ist die geistige Konzentration auf ein einzelnes Objekt, was zu Dhyana, der Meditation, führt. Dein Bewusstseinsstrom soll ununterbrochener aufrechterhalten werden. Der Gipfel des Pfades ist Samadhi, oft als Erleuchtung oder Erkenntnis beschrieben. Es ist ein Zustand vollkommener Einheit. Diese fortgeschrittenen Praktiken können durch Erkenntnis der Zusammenhänge zu tiefgreifenden Veränderungen im Bewusstsein führen.

Der Bezug zur Traumabehandlung

Jedes der acht Glieder des Yoga bietet spezifische Vorteile: Yama und Niyama sind die ethischen Grundlagen und Selbstdisziplin. Sie fördern ein Verhalten und eine Selbstfürsorge, die für Traumaüberlebende oft eine Herausforderung darstellen, aber wesentlich für ihr Verständnis sind. Asana sind die Körperübungen, die die oft gestörte Verbindung zum eigenen Körper wiederherstellen, physische Spannungen lösen und Sicherheit im eigenen Körper vermitteln können. Pranayama ist die Atemkontrolle und ebenfalls eine wichtige Unterstützung zur Regulierung des Nervensystems. Der Atem kann bei der Bewältigung von Angstzuständen eine wichtige Rolle spielen: Wenn du von etwas getriggert wurdest, kannst du dich selbst über den Atem regulieren lernen.

Die fortgeschritteneren Praktiken von Pratyahara, Dharana und Dhyana bieten vielfältige Techniken zur Beruhigung des Geistes und zur Entwicklung von Achtsamkeit. Das ist natürlich besonders wertvoll für Traumaüberlebende, die darüber lernen können, einen inneren Raum der Ruhe und Klarheit als sicheren Ort einzurichten. Allerdings ist Meditation zu Anfang nicht unbedingt förderlich. Wichtiger ist es, zu Beginn für die Sicherheit im Körper zu sorgen.

Tja, und Samadhi wird auch für Yogis als fortgeschrittenes Ziel betrachtet. Dieser Zustand repräsentiert die Möglichkeit einer tiefen inneren Integration des Selbst, in dem das Trauma vollständig verarbeitet und in die Lebenserfahrung integriert werden kann. Wie gesagt, das Ziel. Wir wissen aber auch: der Weg ist das Ziel – eins nach dem anderen!

Wie auf der Matte, so im Leben!

Die systematische Anwendung kann zu mehr Stabilität, inneren Frieden und Widerstandsfähigkeit (Resilienz) führen. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, dass dieser Prozess graduell und unter fachkundiger Anleitung erfolgt. Nichts geht im Yoga oder der Traumheilung mit Hauruck! Ein behutsamer, individuell angepasster Ansatz gewährleistet eine sichere und effektive Praxis, die den spezifischen Bedürfnissen und Grenzen von Traumaüberlebenden ermöglicht, diese Aspekte des Yoga in ihrem eigenen Tempo zu erkunden und zu integrieren.

Das Gedankenkarussell

Patañjali definiert in Sutra 1.2 das Wesen des Yoga als
das “Zur-Ruhe-Bringen der Gedankenwellen im Geiste”.

Die Fähigkeit, den Geist zu beruhigen, ist für die Traumatisierte von zentraler Bedeutung. Traumatische Erfahrungen können zu einem Zustand ständiger innerer Unruhe und unkontrollierbaren Gedankenströmen führen. Die Praxis der Beruhigung kann Traumaüberlebenden helfen, einen Zustand innerer Stabilität zu erreichen und überwältigende Emotionen besser zu handhaben.

Sie ermöglicht es, einen gewissen Abstand zu belastenden Gedanken und Erinnerungen zu gewinnen. Das fördert eine klarere Selbstwahrnehmung und reduziert den alltäglichen Stress. In der praktischen Anwendung können verschiedene Techniken wie Atemübungen, geführte Meditationen oder Mantra-Rezitation eingesetzt werden, um diesen Zustand der Geistesruhe zu kultivieren. Und auch das ist ein gradueller Prozess: Die Praxis sollte sanft und ohne Druck erfolgen. Die Fähigkeit, den Geist zu beruhigen, ist eine solide Grundlage für die weitere therapeutische Arbeit und kann die Wirksamkeit anderer Behandlungsmethoden begleiten.

Der Raum zwischen Reiz und Reaktion

Patañjali betont in Sutra 1.12 die Bedeutung von Übung (abhyāsa) und Loslösung (vairāgya) für die Beruhigung des Geistes. Sie helfen, sich in der Gegenwart zu verankern, was das Risiko von Flashbacks und Dissoziationen reduziert. Gleichzeitig fördern sie eine erhöhte und damit stabilisierende Körperwahrnehmung.

Die Praxis von Achtsamkeit und Präsenz unterstützt die Emotionsregulation, indem sie Raum zwischen Reiz und Reaktion schafft. So kannst erlangst du eine bewusstere Wahrnehmung und kannst emotionale Zustände besser steuern. Deine Widerstandskraft kann sich entwickeln, indem sie deine Fähigkeit stärkt, mit schwierigen Erfahrungen umzugehen, ohne von ihnen überwältigt zu werden. Sie unterstützt auch den Prozess der Selbsterkenntnis und Selbstakzeptanz durch eine objektivere Sicht auf deine Gedanken und Gefühle.

In der praktischen Anwendung können Techniken wie geführte Achtsamkeitsmeditationen, Körperscan-Übungen oder achtsames Yoga (Traumasensitives Yoga) eingesetzt werden. Das kann jedoch zu Beginn der Praxis für Traumaüberlebende auch schon herausfordernd sein. Daher sollte die Praxis mit einem Augenmerk auf die individuellen Bedürfnisse und Grenzen des Übenden gelegt werden.

Umgang mit negativen Gedankenmustern

Traumatische Erfahrungen hinterlassen oft tiefe Spuren im Denken und können zu hartnäckigen negativen Gedankenmustern führen. Patañjali erkannte die Macht solcher Gedanken und bietet im Yogasutra einen Ansatz zur Transformation an. In Sutra 2.33 schreibt er:

“Störende Gedanken können durch das Denken an ihr Gegenteil überwunden werden.”

Dieser Ansatz lädt dich ein, bewusst alternative Perspektiven einzunehmen und damit positive Geisteszustände zu fördern. In der Traumatherapie kann es ein wertvolles Werkzeug sein, festgefahrene negative Überzeugungen und Ängste zu hinterfragen und umzugestalten. Anstatt beispielsweise in dem Glauben zu verharren, die Welt sei grundsätzlich unsicher, könnte man gezielt Momente der Sicherheit und des Vertrauens erinnern und zukünftig kultivieren.

Die Praxis des pratipakṣa-bhāvanam erfordert Geduld und sanfte Beharrlichkeit. Es geht nicht, negative Gedanken zu unterdrücken oder zu leugnen, sondern sie vielmehr mit Mitgefühl anzuschauen und schrittweise neue neuronale Bahnen zu schaffen. Hierbei nutzen die Yogis gezielte Affirmationen, Visualisierungen oder das bewusste Fokussieren auf positive Erfahrungen. Auch das kann nur behutsam und achtsam in die Praxis eingeführt werden.

Körperarbeit und Atmung

Patañjali betont in seinem Yogasutra die Bedeutung von Körperarbeit (Asana) und Atemkontrolle (Pranayama) als wesentliche Elemente des Yoga-Weges. In Sutra 2.46 beschreibt er die ideale Körperhaltung als “sthira-sukham āsanam” – stabil und angenehm. Diese Anweisung ist besonders relevant bei einer gestörten Beziehung zum eigenen Körper. Durch die sanfte Praxis von Asanas kannst erfahren, dass dein Körper wieder ein sicheren Ort sein kann.

Patañjali führt in Sutra 2.49 die Atemarbeit ein:

“Nachdem der (Meditationssitz = āsana) vollkommen ist,
ist das Anhalten des Laufs  von Ein- und Ausatmung  die Atemübung (prāṇāyāma).”

Pranayama-Techniken unterstützen das autonome Nervensystem und können es regulieren. Bewusste Atemübungen können beruhigen und entspannen und dienen als ein wirksames Mittel zur Selbstregulation in Momenten von Stress oder Angst. Vielleicht hast du schon mal erlebt, wie du bei einem Schreck den Atem angehalten hast. Tiefes Ausatmen kann ich dich zurückholen ins Hier und Jetzt.

Übungen dazu sollten sanft sein, bodennahe ausgeführt werden und beinhalten ganz einfache Atemtechniken für Sicherheit und Kontrolle. Körperwahrnehmung kann verfeinern, Spannungen können gelöst und eine tiefere Verbindung zwischen Körper und Geist hergestellt werden. Das bringt Klarheit, ein hohes Gut! So das Ziel.

Fokussierung auf einen Punkt

Patañjali beschreibt in Sutra 3.1 den Prozess der Konzentration als Grundlage der Meditation, um den oft zerstreuten und überreizten Geist zu beruhigen:

“Das Fixieren des Bewusstseins auf einen Punkt”

Durch regelmäßige Meditationspraxis kannst du lernen, deine Aufmerksamkeit bewusst zu steuern und einen inneren Anker zu finden. Das fördert deine zur Selbstreflexion und Selbstbeobachtung. Alles bekommt den angemessenen Platz, bis du gelassen und entspannt bleibst – auch in bisher für dich schwierigen Situationen.

In der Traumatherapie sollten Meditationstechniken allerdings behutsam eingeführt werden, beginnend mit kurzen, geführten Übungen. Mit der Zeit können längere und tiefere Meditationen integriert werden.

Selbstmitgefühl und Akzeptanz

In Sutra 1.33 spricht Patañjali von der Kultivierung positiver Geisteszustände:

“Die Beruhigung des Cittam erfolgt durch die Vergegenwärtigung von Freundschaft, Mitleid, Freude und Nachsicht,
welche sich auf Lust, Leid, Gutes und Böses beziehen. (Paul Deussen, 1908)

Auf heute übertragen geht es darum, eine Haltung von Freundlichkeit, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut gegenüber verschiedenen Lebensumständen zu entwickeln. Für Traumaüberlebende ist vor allem die Kultivierung von Selbstmitgefühl und Akzeptanz wichtig und gleichzeitig schwierig, aber auch ein entscheidender Schritt! Es geht niemals darum, das Erlebte zu negieren oder zu vergessen, mehr es einzuordnen und ihm das Überwältigenden zu nehmen.

Es soll helfen, eine sanftere und verständnisvollere Haltung gegenüber sich selbst und deinen Erfahrungen zu entwickeln. Denn Trauma führt oft zu Selbstvorwürfen und Schamgefühlen. Durch das bewusste Erlernen von Mitgefühl können Erfahrungen mit größerer Akzeptanz betrachten werden: Es ist die Kunst, sich selbst mit Güte zu begegnen. Meditationen zur liebevollen Güte (Metta-Meditation), Selbstmitgefühlsübungen und Praktiken zur Entwicklung von Gleichmut können hier unterstützen.

Im persönlichen Gespräch können wir gern darüber sprechen. Buche gern für einen Austausch mit mir einen kostenlosen Zoomcall. Jetzt buchen!

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Über mich
Annette Bauer, Namaste-Geste
Hallo, ich bin Annette
Ich bin Berlinerin und war 25 Jahre als Layouterin und Redak­teurin tätig. In den letzten Jahren im Job war ich kurz vorm Burnout und wurde dann ent­lassen. Auch privat habe ich Schick­sals­schläge erleben müssen.

Dabei hilft mir seit 30 Jahren eine regelmäßige Yoga-Praxis, der Integrale Ansatz nach Ken Wilber und eine Trauma­therapie-Aus­bild­ung.

In meinem Coaching erfährst du Wertschätzung und erhältst Raum und Zeit, dein Innerstes zu erforschen, um mit Leichtigkeit und Klarheit deine Veränder­ungen umzu­setzen.
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